Ich fand dies einen interessanten Artikel über eine Studie welche sich verschiedene Bildungsinitativen zum Holocaust die an muslimische deutsche gerichtet sind zum Thema gemacht hat.

Es zeigt find ich sehr offen wie tief das dritte Reich und alles was damit zusammenhängt mit der deutschen Identität verbunden ist, und wie deutsche deren Vorfahren eben nicht im dritten Reich gelebt haben deswegen nicht als “voll” deutsch (“wohlintegriert” oder wie man dass dann auch umschreiben mag) gelten.

Zitat:

Um wirklich deutsch zu sein, müssen sie die Rolle reumütiger Täter spielen und sich nicht wie potentielle Opfer fühlen.

  • luxuslurch@feddit.de
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    9 months ago

    Ich bin kein Fan der deutschen Erinnerungskultur, weil es doch allzu oft darin ausartet, sich selber als Erinnerungsweltmeister zu feiern und dadurch der Blick auf die aktuelle Situation verblendet. Mit all den Problemen, die auch im Artikel angesprochen werden.

    Allerdings muss man zugute halten, dass immerhin was die Zeit zwischen 1933 und 1945 anbelangt, die historische Aufarbeitung - auch wenn sie viele Jahrzehnte gebraucht hat und gegen viele Widerstände erkämpft werden musste - äußerst gründlich ist. So gründlich, dass eben alle, die nicht durch TikTok erzogen wurden, genau wissen, was abgegangen ist. Man kann sich einen derart gründlichen Blick nur bei anderen Völkermorden im 20. Jahrhundert (ob durch Deutsche in Südwestafrika oder andere Nationen) dringend wünschen. Denn nur mit lebendiger Erinnerung kann man heute zu dem Rückschluss: “Nie wieder!” kommen und das aktiv verteidigen gegen die Geschichtsvergessenheit der neuen Rechten.

    Wenn dann manchen Migranten, wie im Text beschrieben, nur einfällt zu fragen, ob man selber bald das nächste Opfer sein wird, geht eben genau diese Perspektive verloren. Denn die mörderischen Verbrechen gingen zwar von Deutschland aus, fanden aber überall willige Helfer. Ob es das Vichy-Regime in Frankreich oder die Militärdiktatur Antonescus in Rumänien war: sie alle haben sich nur allzu gerne und willentlich zum Erfüllungsgehilfen der Nazis gemacht. Und was oft vergessen wird: eben halt auch die muslimische Welt, speziell in dem Mandatsgebiet Palästina.

    Allerdings fehlt in Frankreich, Rumänien und unter den Arabern diese historische Aufarbeitung komplett. Und dann wird Geschichte zwangsläufig geschönt und historische Fakten werden unter den Teppich gekehrt. Nur so kann im Text die Nakba 1948 einseitig als Vertreibung durch Zionisten dargestellt werden - und nicht als Folge des ersten offiziellen Vernichtungsversuches und Angriffskriegs. Der zweite sollte 1967 folgen, der dritte 1973. Den vierten haben wir kurzem erst gesehen.

    Diese Kontinuität des eliminatorischen Antisemitismus in der arabischen Welt wird von eben jener dieser komplett ignoriert. Solange es keine Einsicht darin gibt, dass man Tätervolk war und heute auch wieder ist, solange wird das eben nichts mit der Vergangenheitsbewältigung.

    • muelltonne@feddit.de
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      9 months ago

      Ich würde da ganz klar trennen zwischen geschichtswissenschaftlicher Forschung und dem, was dann am Ende der einzelne Bürger wirklich weiß und was die Politik dann in Sonntagsreden oder sonstigen Aktionen draus macht. Das sind nämlich zwei verschiedene Paar Schuhe. So findest du z.B. auch jede Menge total gute Forschung zur Nakba, die aber natürlich null von den üblichen Trotteln in den Kommentarspalten oder gar den Fanatikern im Gazastreifen oder in den Siedlungen wahrgenommen wird.

      • DetektivEdgar@feddit.de
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        9 months ago

        Ich fand das Tilo Jung Interview mit Friedman auch interessant. Er attestiert den Deutschen eine weitgehend emotionslose Aufarbeitung und das fand ich sehr plausibel. Die Fakten sind da, vermutlich vor allem wegen der Profis. Aber die emotionale Bindung zu diesen Gräueltaten fehlt dann irgendwie, vermutlich wäre sie zu beschämend oder so.

        • muelltonne@feddit.de
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          9 months ago

          Die emotionale Bindung zu den Gräueltaten gab es ja in der Vergangenheit - dafür musst du dir nur mal z.B. Literatur aus lokalen Geschichtswerkstätten der 80er anschauen, wo dann Leute angefangen haben aktiv die lokale Geschichte aufzuarbeiten und dann auf richtig ekelige Kontinuitäten gestoßen sind. Da merkst du der Literatur massiv an, dass die Autoren an der Geschichte leiden.

          Nur: Es ist jetzt kein Wunder, dass das mit den Zeitzeugen und mit den Tätern und mit den Opfern wegstirbt. Das Kriegsende ist jetzt im Mai dann 79 Jahre her und damit sterben aktuell auch die letzten Jahrgänge weg, die den Krieg noch als Kind erlebt haben. Wir werden das genaue Datum nie erfahren, aber irgendwann jetzt wird auch der letzte SS-Scherge sterben. Und natürlich bricht dann eine emotionale Verbindung zum Geschehen weg - kaum einer hat den Krieg noch miterlebt, Millionen Deutsche haben noch nicht mal mehr Großeltern oder gar Eltern, die dabei waren und die Täter sind praktisch alle verstorben und jetzt sieht man halt noch die letzten Nachhut-Verfahren gegen uralte Greise, die dann halt mindestens 79 + 18 = 97 Jahre alt sind. Das ist halt eine andere Verbindung als “damals” in den 80ern, wo man dann halt rausgefunden hat, dass der hochdekorierte CDU-Bürgermeister aktiv an Vertreibungen beteiligt war oder halt der Seniorchef des lokalen Warenhaus schön Arisierungsgewinner war.

          • DetektivEdgar@feddit.de
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            9 months ago

            Vielleicht gab es sie teilweise, aber die Geschichtswerkstätten der 80er klingen mir jetzt nicht soo Mainstream? Da sehe ich aktuell keinen direkten Widerspruch zu der Friedman-These.

      • luxuslurch@feddit.de
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        9 months ago

        Die Pädagogik ist doch die vorgesehene Schnittstelle zwischen beiden Welten. Der Artikel liest sich jetzt aber so, als könne deutsche Pädagogik nicht relevant sein für nicht-Biodeutsche.

    • tryptaminev 🇵🇸 🇺🇦 🇪🇺@feddit.de
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      9 months ago

      Naja, aus der fehlenden Erinnerungskultur anderer Länder, sei es für ihre Kooperation beim Holocaust, oder im Beispiel Frankreichs und Großbrittaniens für ihre eigenen Genozide und Massaker in den Kolonien, sollte man der deutschen Erinnerungskultur auch kein allzu gutes Zeugnis ausstellen.

      Zur Realität dieser Erinnerungskultur gehört bis heute, dass Homosexuelle, Sinti, Roma, Menschen mit Behinderungen, oder solche denen welche angedichtet wurden bis heute nicht angemessen als Opfergruppen anerkannt und entschädigt wurden. Auch jüdische KZ Überlebende haben zunächst nur das selbe Entschädigungsgeld erhalten, wie zu unrecht in normalen Gefängnissen inhaftierte.

      Während man sich schließlich öffentlichkeitswirksam darum gekümmert hat Entschädigungen über die JCC zu leisten, hat man sich nicht damit auseinandergesetz, wie diese Gelder überwiegend an westeuropäische Juden leitete und osteuropäische Juden abspeiste. https://de.wikipedia.org/wiki/Jewish_Claims_Conference#Kritik

      Zur Realität der Erinnerungskultur gehört bis heute, dass man im Umgang mit osteuropäischen Ländern den Vernichtungsfeldzug und die 19 Millionen ermordeten Zivilisten nicht aufgearbeitet hat. Ebenso wurde die Frage nach Reparationszahlungen im 2+4 Vertrag durch die Siegermächte und Deutschland zu Lasten ebenjener Länder abgeräumt.

      Zur Realität der Erinnerungskultur gehört auch, dass hochrangige Nazis als wichtige Persönlichkeiten der BRD gefeiert werden, und Straßen, Plätze und Gebäude nach ihnen benannt sind. Da wäre z.B. der SS Untersturmführer Hans Martin Schleyer, der zur “Arisierung” der tschechichen Wirtschaft und zur Beschaffung von Zwangsarbeit grausamste Verbrechen organisiert hat.

      Deutschland gibt sich hier selbst eine 2+, während es wohl eher eine 4- verdient hätte. Nur weil andere Staaten mit einer glatten 6 dastehen, sollte man die 4- nicht überhöhen. Denn sie bedeutet faktisch, dass dutzende Millionen Opfer deutscher Verbrechen nie Gerechtigkeit erfahren haben und es wahrscheinlich auch niemals werden.